Polizistin zu Kommentaren über tätlichen Angriff auf sie: “Ich gratuliere allen Kritikern, dass sie noch nie in eine solche Situation gekommen sind”

30. August 2017 um 20:40

Polizistin zu Kommentaren über tätlichen Angriff auf sie: "Ich gratuliere allen Kritikern, dass sie noch nie in eine solche Situation gekommen sind"Vor knapp zwei Wochen berichteten wir über einen Vorfall in Hannover, bei dem eine Polizistin, die privat unterwegs war, einschritt und dann von zwei Jugendlichen angegriffen wurde.

Manch ein Kritiker fühlte sich bemüßigt in Frage zu stellen, wie eine ausgebildete Polizistin sich überhaupt von zwei jungen Mädchen habe angreifen lassen können und ihre Fähigkeiten in Zweifel gezogen. Auch bei uns fand man derartige Kommentare.

Die Kollegin hat sich bei uns zu Wort gemeldet und möchte, dass wir ihre Ansicht über diese Kritik veröffentlichen:

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“Am 17. August kam es zu dem bereits bekannten Polizeieinsatz, der mich zwangsweise Teil der Berichterstattung hat werden lassen. Ich verfolge die Medien selber gerne in Bezug auf Polizeieinsätze und lese die Kommentare dazu.

Jetzt bin ich auf einmal selber diese Kommissarin, die „zusammengeschlagen“ wurde und deren Handeln von diversen Personen teils dankbar, teils aber auch höchst kritisch diskutiert wird. Vielleicht war es ein Fehler, die Kommentare dazu zu lesen, auf jeden Fall hat das natürlich etwas mit mir gemacht, weshalb ich sehr gerne Stellung beziehen möchte.

Leider ist die Berichterstattung nicht ganz wahrheitsgemäß, weil sie nur auf ersten Erkenntnissen beruht. Wenn ich nicht selber wüsste, wie es sich zugetragen hat, würde ich wahrscheinlich auch etwas ins Grübeln kommen, wie zwei Jugendliche es schaffen können, eine „ausgebildete Polizistin“ zu Boden zu bringen.

Ich werde es mir an dieser Stelle sparen, auf den genauen Hergang einzugehen. Jedoch möchte ich klarstellen, dass ich aufgrund eines Angriffs eine der Beiden zu Boden gebracht habe. Als ich mit dieser Person bereits am Boden lag, hat auch die zweite Person angefangen, Gewalt gegen mich anzuwenden. Ich lag also bereits am Boden, als es erst so richtig losging…

Man muss kein Polizist sein, um zu erkennen, dass Zwei gegen Einen immer unglücklich ist. Dabei spielt es auch nicht zwangsweise eine Rolle, wie alt jemand ist oder welches Geschlecht das Gegenüber hat, sondern welches Gewaltpotential vorhanden ist. Meiner Einsatzerfahrung nach sind Frauen in ihrem Verhalten unberechenbarer und kreativer.

Ich habe selten einen Mann erlebt, der Haare ausgerissen, gewürgt, gekratzt oder gebissen hat. Wenn man dann noch bedenkt, dass sich der erste Teil in einer gut frequentierten U-Bahn abgespielt hat, möchte ich gerne erleben, wie da noch jemand in der Lage sein kann, die Extremitäten von zwei sehr aggressiven und hemmungslosen Personen zu kontrollieren.

Zudem muss ich auch darauf hinweisen, was denn mein Ziel als Polizeibeamtin ist: Ich möchte die Person/en ruhig stellen und ihr möglichst wenig Schmerz zufügen, bis die Maßnahme durchgesetzt werden kann. Es ist nicht die Frage, OB ich mich gegen Minderjährige durchsetzen kann, sondern WIE ich es tue.

Ich stehe als Polizeibeamtin nicht im Boxring und mein Ziel ist nicht das KO. Das ganz große Stichwort ist immer die Verhältnismäßigkeit. Ich hatte es augenscheinlich mit alkoholisierten Minderjährigen zu tun, was für mich eine natürliche Hemmschwelle darstellt, körperliche Gewalt anzuwenden.

Und wenn wir ehrlich sind: Was wäre denn gewesen, wenn ich aus voller Kraft zugeschlagen hätte (wozu ich körperlich durchaus in der Lage bin), wie es gemäß der Kommentare einige Menschen von mir erwartet hätten? Es hätte nicht lange gedauert und die Schreie nach Polizeigewalt wären groß gewesen. Die Schlagzeile am nächsten Tag wäre wahrscheinlich Folgende gewesen:

„Polizeibeamtin schlägt auf wehrlose Minderjährige ein“ – nein danke!

Natürlich habe ich einstecken müssen. Ich war sommerlich gekleidet, ohne zweiten Kollegen, ohne Schutzweste und ohne Hilfsmittel der körperlichen Gewalt. Dass man dann bei diesen Voraussetzungen nicht ganz ohne Blessuren davonkommt, ist wohl selbsterklärend. Alles in allem war das eine schlimme Erfahrung für mich.

Eine derartige Gewaltbereitschaft habe ich in meinen bisherigen Dienstjahren noch nicht erlebt. Ich bin aber weder schwer verletzt, noch war ich bewusstlos, noch wurde ich stationär in ein Krankenhaus aufgenommen.

Ich möchte eines ganz deutlich machen: Polizist=Mensch.

Wir sind trotz einer polizeilichen Ausbildung keine Kampfmaschinen und keine Superhelden, wir tun einfach unser Bestes. Wenn ich dann aber lesen muss, dass ich den falschen Beruf gewählt hätte, wird mir klar, dass sich solche Aussagen schlicht auf Unwissenheit und Unerfahrenheit stützen.

Ich gratuliere allen Kritikern, dass sie scheinbar noch nie auf derartige Menschen gestoßen sind. Ich muss lernen, dass ich es niemals allen recht machen werde und es immer Kritiker geben wird, weshalb man es also oft nur falsch machen kann.

Ich habe rechtmäßig und aus voller Überzeugung gehandelt – teils als Polizistin, teils als Mensch. Ich freue mich, trotz allem schreiben zu können, dass ich aus tiefstem Herzen Polizeibeamtin bin und mir keine Kritik dieser Welt diese Einstellung nehmen wird.”

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Die Autorin ist und namentlich bekannt, möchte jedoch anonym bleiben. Sie hat uns auch Einzelheiten des Vorfalles geschildert, so dass wir darüber sehr gut im Bilde sind. Da es sich aber um ein schwebendes Verfahren handelt, dürfen wir diese nicht veröffentlichen.