Bayerisches Polizeiaufgabengesetz: Etwas mehr Sachlichkeit wäre für die Diskussion hilfreich

11. Mai 2018 um 22:53

Bayerisches Polizeiaufgabengesetz: Etwas mehr Sachlichkeit wäre für die Diskussion hilfreichDie Neufassung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) sorgt momentan für viele Diskussion. Einen regelrechten Aufschrei konnte man in den sozialen Netzwerken feststellen. Vom “Polizeistaat” ist die Rede, vom “Ende der Freiheit zugunsten der Sicherheit” schrieben andere, wiederum andere bezogen sich auf die Geschichte “1984” von George Orwell.

Gestern, an Christi Himmelfahrt, gab es eine große Demonstration gegen die Novelle des PAG in München. Ganze 90 Institutionen hatten dazu aufgerufen, die Polizei rechnete zunächst mit bis zu 10.000 Teilnehmern, gekommen waren 30.000. Wenigstens blieb die Veranstaltung, bei allen Falschmeldungen und Fehlinformationen die kursieren, friedlich.

Doch was ist dran, an den schlimmsten Befürchtungen der Kritiker? Laufen die Streifenpolizisten demnächst mit Handgranate im Gepäck durch die Gegend und sprengen Verkehrsteilnehmer in die Luft, wenn sie sich aggressiv zeigen? Steht uns der bayerische Große Lauschangriff auf sämtliche Kommunikationsarten bevor? Werden Menschen monatelang willkürlich einfach weggesperrt?

Wir möchten mit unserem Beitrag niemanden beeinflussen, doch das Teufelswerk, als dass das PAG dargestellt wird, ist es nicht. Ein solches Maßnahmenpaket besteht aus vielen Einzelkomponenten, sprich Ermächtigungen. Man kann einzelne davon kritisch sehen, aber das neue PAG ist nicht das Ende der freiheitlich demokratischen Grundordnung. So viel ist sicher.

Wir haben uns mal ein paar Themen, die stark diskutiert werden, heraus gesucht. Thema HANDGRANATEN. Das zuvor geschilderte Szenario, von mit diesen Sprengmitteln ausgestatteten Streifenpolizisten ist, um es umverblümt zu sagen, völliger Quatsch. Die Polizei wird zukünftig Explosivmittel, so der Gesetzestext, verwenden dürfen.

Betreffen wird dies aber allenfalls die Spezialeinheiten. Denn wenn man sich den neues Gesetzestext und die Gesetzesbegründung der bayerischen Staatsregierung, immerhin 187 Seiten (PDF-Datei), durchliest, wird schnell klar, dass die Befürchtungen der Kritiker völlig überzogen sind.

In der Begründung heißt es zum Beispiel, dass die Explosivmittel der Terrorismusabwehr dienen. Und im Einsatz angewandt werden dürfen diese nur, wenn dies explizit vom Landespolizeipräsidenten für den Einzelfall angeordnet wurde und auch nur dann, wenn andere Mittel bzw. Waffen keinen Erfolg versprechen oder bereits erfolglos angewandt wurden. Die Voraussetzungen sind also hoch angesiedelt und das ist auch gut so.

Dennoch sind die Explosivmitteln ein wichtiger Baustein im Baukasten der Terrorismusabwehr. Denn wer möchte nicht, dass im Falle eines Anschlages die Polizei nicht alle notwendigen Mittel zur Hand hat, um Schlimmeres zu verhindern und die Terroristen dingfest zu machen? Und eines darf man nicht vergessen, die Spezialeinheiten haben ohnehin die Möglichkeit Explosivmitteln anzuwenden, wenn zum Beispiel Türen geöffnet werden müssen und dies nicht schnell und sicher genug mit anderen Mitteln funktioniert.

Thema POSTGEHEIMNIS. Die Polizei kann Paket- und Briefsendungen präventiv bei drohender Gefahr im Einzelfall sicherstellen. Alle Postdienstleister sind zur Kooperation laut Gesetz verpflichtet. Kann die Polizei nun willkürlich meine Post mitnehmen und in Briefe und Pakete hinein schauen?

Nein, kann sie nicht. Was die Polizei kann, ist im begründeten Einzelfall bei drohender Gefahr Postsendungen sicherstellen. Alles weitere steht nicht mehr in Verantwortung der Polizei, denn laut neuem PAG ist die Polizei verpflichtet, die Postsendungen dem zuständigen Gericht vorzulegen, die dann über eine Öffnung entscheidet. Ausnahme, der Grund ist entfallen oder es besteht Gefahr im Verzuge (letzterer sind enge Grenzen durch die herrschende Rechtsprechung gesetzt).

Thema VIDEOÜBERWACHUNG. Die bayerische Polizei darf laut neuem PAG zukünftig mit Bodycams auf Streife gehen. Das Gesetz ermächtigt hierbei dazu, dass die Kameras nicht ausgeschaltet sein müssen, sondern im sogenannten Pre-Recording ständig mitlaufen. Hierbei werden kurze Videosequenzen aufgezeichnet und immer wieder überschrieben, so lange ein Polizist nicht auf den Aufnahmeknopf drückt, der die Aufnahme dann dauerhaft speichert. Sollte die Aufnahme dann doch nicht benötigt werden, muss sie gelöscht werden. Dies entspricht den Datenschutzbestimmungen und ist auch in anderen Bundesländern genauso gesetzlich geregelt.

Apropos DATENSCHUTZ, auch der wird im neuen PAG gestärkt. Es werden genau Regelungen aufgenommen, welche Daten wann und wie erhoben, gespeichert, weiterverarbeitet und weitergeleitet werden dürfen. Zudem soll zukünftig eine von der Polizei unabhängige Stelle die Daten überprüfen, die bei der Onlineüberwachung anfallen. Sind hier Daten aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich gespeichert, dürfen diese nicht verwendet werden und müssen gelöscht werden.

Man darf eines nicht vergessen, bei all den Änderungen, die die bayerische Staatsregierung hier anstrebt, geht es in aller Regel um präventive Maßnahmen, also um die Gefahrenabwehr. Und bei den meisten Ermächtigungen, die der Polizei hier neue Befugnisse einräumen, geht es um wichtige Rechtsgüter wie Leib, Leben, Fortbestand des Staates, sexuelle Selbstbestimmung, erhebliche Eigentümer oder existentielle Einrichtungen wie die Infrastruktur (Strom, Wasser, Telekommunikation). Von all dem sollen Gefahren abgewendet werden, wenn Hinweise für solche Gefahren bestehen. Und Hand aufs Herz, wer möchte das nicht?

Letzter Punkt, der Begriff der “drohenden Gefahr”. Bislang musste in den meisten Polizeigesetzen des Bundes und der Länder eine konkrete Gefahr bestehen, um gefahrenabwehrend tätig werden zu können. Diese konkrete Gefahr, die eine bestimmte Gefahr war, die von einer bestimmten Person ausging und die Befürchtung enthielt, dass eine Schaden für ein Rechtsgut eintreten wird, wenn dies nicht verhindert wird, war immer klar zu benennen.

Die drohende Gefahr ist etwas abstrakter, denn es steht zu befürchten, dass auch hier ein Schaden eintreten wird. Doch wer oder was genau die Gefahr darstellt, ist unbekannt. Dennoch muss auch hier die Gefahr genau benannt werden können und dies dürfte zum Beispiel bei einer terroristischen Gefahr, bei der es bislang nur Hinweise gibt, die noch wenig konkretes aussagen, gegeben sein. Die Polizei kann dann Ermittlungen anstellen und herausfinden, was an dieser drohenden Gefahr dran ist und diese, sofern tatsächlich vorhanden, bekämpfen.

Außerdem wurden im neuen PAG zahlreiche RICHTERVORBEHALTE ausformuliert, so zum Beispiel bei der Ingewahrsamnahme bzw. bei deren Fortdauer, der DNA-Entnahme, bei der Postsicherstellung, bei der speziellen Datenerhebung und bei allen Eingriffen in das Telekommunikationsgeheimnis, dem Einsatz verdeckter Ermittler und Vertrauenspersonen, usw. Dies alles zeigt eindeutig, dass die Polizei nicht willkürlich entscheiden und tätig werden kann, sie ist immer Rechenschaft schuldig, was sie warum getan hat und tun möchte.

Die drohende Gefahr geht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem April 2016 zurück und betrifft hauptsächlich das BKA-Gesetz. Doch auch die Polizeigesetze müssen auf Grund dieser höchstrichterlichen Entscheidung angepasst werden. Bayern geht eben einen Schritt weiter als die meisten Ländern und arbeitet auch mit diesem Begriff der drohenden Gefahr, welcher in der vorgenannten Urteilsbegründung sehr oft auftaucht und bis dahin im Polizeirecht nahezu unbekannt war. Zwar werden Gerichtsurteile zukünftig die Definition der drohenden Gefahr abstecken müssen, aber geltendes Recht besteht nun mit diesem Begriff schon.

Weitere Informationen und sämtliche angestrebten Änderungen findet man auf dieser Internetseite.

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Eines sollte die Kritiker auch nicht vergessen, was sie mit ihrer teils panischen Darstellung vom Ende aller Freiheiten fälschlicher Weise den Kolleginnen und Kollegen in Bayern antun. Was wir damit andeuten möchten, schrieb uns eine Kollegin aus Bayern sehr eindeutig:

“Hallo liebes Polizei=Mensch Team,

Ich habe hier einen kleinen artikel, den wir mit ein paar anderen Kollegen zusammen gestellt haben.

„Was halten Sie vom neuen Polizeiaufgabengesetz?“, „wissen Sie, dass das verfassungswidrig ist? Ich weiß das, ich bin Jurastudent“, „warum machen Sie solche Gesetze?“

Das ist nur ein Ausschnitt der Fragen, mit denen ich mich die letzten Tage herum schlage. Betrunkene Menschen, die mit Halbwissen glänzen und plötzlich ist jeder wieder Jurastudent. Auf die Frage hin, ob sie sich die 187 Seiten Gesetzesänderung einmal aufmerksam durchgelesen haben, folgte nur die Antwort: „Nein, aber in Facebook hab ich alles gelesen. Ich lese mir doch keine 187 Seiten durch!“

Ich bin es eigentlich leid, dass wir gerade den Kopf hin halten, weil unsere Regierung es nicht schafft ein klares Statement abzugeben. Ich bin es leid solche Diskussionen zu führen. Ich will einfach nur meine Arbeit machen und die möglichst gut, aber als Polizist fühlt man sich aktuell wie ein Spielball.

Wir sind auch nur Menschen. Doch werden wir gerade verurteil und gehasst für etwas, für was wir nicht verantwortlich sind (völlig gleich, ob wir positiv oder negativ dem neuen PAG gegenüber stehen). Aber eines ist ganz sicher, wir werden trotzdem da sein, wenn ihr uns braucht.”

Die Kollegin ist uns namentlich bekannt, möchte aber anonym bleiben.

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Wie heißt es so schön, überall wird nur mit Wasser gekocht und wer möchte nicht, dass die Polizei gesetzlich mit Ermächtigungen ausgestattet ist um eine Gefahr wirkungsvoll bekämpfen zu können, insbesondere im Hinblick auf die ständig vorhandene Terrorgefahr. Wir sollten hier aufgezeigt haben, dass von Polizeiwillkür und Polizeistaat keine Rede sein kann.

Abschließend noch ein kleiner Hinweise, der zwar mit dem neuen PAG speziell nichts zu tun hat, aber mit den Vorgängen in diesem Zusammenhang:

Egal wie man zum PAG inhaltlich stehen mag, ist es interessant zu beobachten, wie viel Menschen sich zusammen finden um gegen etwas zu demonstrieren. Es wäre schön, wenn diese Menschen auch einmal FÜR etwas einstehen würden, besonders, wenn es die Polizei betrifft. So zum Beispiel beim Thema Personalaufstockung, bessere Bezahlung, bessere Ausrüstung, stärkerer Rückhalt in Politik und Justiz, stärkere Bekämpfung der Gewaltanwendung Polizisten gegenüber, um nur ein paar allgemeine Themen zu benennen!