Warum ein Gedenktag?

19. Mai 2018 um 12:18

Warum ein Gedenktag?Wir begehen heute zum ersten Mal den Gedenktag für unsere im Dienst für die Allgemeinheit verstorbenen Kolleginnen und Kollegen. Doch wozu soll dieser Gedenktag gut sein? Diese Frage wird vermutlich so mancher stellen. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Wir sind eine Polizeifamilie, sind es doch unsere Brüder und Schwestern, die gewaltsam oder durch tragische Unfälle im Dienst sterben (müssen). Brüder und Schwestern im Geiste. Wir tragen dieselbe Uniform, stehen im Dienst für die Allgemeinheit, sind Freund und Helfer (egal ob mit oder ohne Uniform) und haben einen Eid geleistet. Nicht immer sind es Gewalttaten, durch die Kolleginnen und Kollegen sterben, manchmal sind es auch Unfälle. Dies zeigt jedenfalls, wie gefährlich der Polizeiberuf sein kann.

Wir möchten durch diesen Gedenktag keine Sonderbehandlung erwarten, jedoch gibt es einen großen Unterschied zwischen denen, die als Zivilisten durch ein Verbrechen oder einen Unfall ums Leben kommen und uns Polizisten. Die wenigsten, die gegen uns eine Waffe erheben, einen anderen Gegenstand als Waffe benutzten, kennen uns. Uns als Menschen, als Familienmutter und -vater, als Sohn oder Tochter, als Freund oder Kollege.

Diese Menschen sehen nur die Uniform und sie möchten eines erreichen: Uns entkommen, sich einer Strafverfolgung entziehen, ihren Hass ausleben. Das alles bezieht sich auf die Uniform die wir tragen, auf das Hoheitszeichen, welches wir mit Stolz tragen. Sie greifen uns als Polizisten an (was im Übrigen für jeden verbalen und tätlichen Angriff gilt) und damit den Teil der grundrechtlichen Gewaltenteilung, die wir Exekutive nennen (gilt in diesem Sinne genauso für unsere Kameraden von der Bundeswehr). Es ist ein Angriff auf den Staat.

Doch dem Staat oder dem Amt, das wir bekleiden, kann man nicht weh tun, man kann es nicht töten. Uns Polizisten schon, denn wir sind Menschen mit Gefühlen, Hoffnungen, Träumen – und ja, mit Familien. Wir sind keine Einsatzmittel, wir sind fühlende und denkende Menschen, Teil der Gesellschaft, die wir beschützen möchten, Bürger in Uniform. Wenn also ein Polizist im Dienst von fremder Hand sterben muss, dann ist das schon etwas anderes, als ein Zivilist, bei dem dasselbe geschieht. Denn wir gehen dorthin, wo andere weglaufen. Das ist unser Job.

Als der SEK-Beamte Daniel Ernst vor zwei Jahren durch die Schüsse eines Reichsbürgers viel zu jung sterben musste, nahm die Öffentlichkeit Anteil daran. Schnell wuchs der Gedanke unter den bayerischen Kollegen, dass man dem Verstorbenen eine Gedenkminute widmen sollte. Diese Idee griff dank sozialer Medien und Vernetzung bundesweit über. Fast alle Bundesländer beteiligten sich, dank Erlaubnis durch die jeweiligen Innenminister, an einer Gedenkminute, die am 29. Oktober 2016 zelebriert wurde. Auch wir von Polizist=Mensch beteiligten uns daran und die Resonanz war gewaltig.

Hoffnung keimte auf, dass wir Polizisten doch einen gewissen Wert innerhalb der Gesellschaft besitzen und dies auch öffentlich gezeigt werden darf. Doch bereits zu dieser Gedenkminute zeigten sich die Unterschiede bei den teilnehmenden Bundesländern. Jeder Innenminister genehmigte unterschiedliche Teilnahmemöglichkeiten. Einige wenige gaben gar keine Erlaubnis, andere nur ohne Sondersignal, wieder andere mit Sondersignal. Natürlich jeweils unter der Prämisse, dass kein Einsatz zurückstehen darf, was selbstredend sein dürfte.

In den folgenden zwei Jahren sind weitere Kollegen im Dienst verstorben und die Resonanz auf eine Gedenkminute, wie sie bei Daniel Ernst stattfand, war verhalten, obwohl wir als Polizisten den Wunsch dazu hatten. Wenn einer der Unseren im Dienst stirbt, sind wir betroffen, wir trauern mit, nehmen Anteil – mit den Kollegen des Verstorbenen, den Angehörigen und Freunden. Eine Schwester oder ein Bruder musste sein Leben geben und wir alle fragen uns, die wir ähnliche Situationen im Dienst erlebt haben: Hätte es dich selbst treffen können? Wer wird der nächste sein?

Mit Hingabe und Pflichtgefühl versehen wir unseren Dienst, immer den Menschen im Blick, dem wir helfen möchten. Doch der Verlust einer Kollegin oder eines Kollegen macht uns selbst erst einmal hilflos. Gemeinsam trauern, reden, zusammenstehen, das hilft uns über den Tod hinweg. Da sind wir Polizisten nicht anders als jeder andere Mensch.

Deswegen möchten wir einen gemeinsamen Gedenktag, der sich jährlich am dritten Samstag im Mai wiederholt. Und da wir nicht nur in Deutschland eine Polizeifamilie sind, gehören unsere Kolleginnen und Kollegen in den deutschsprachigen Nachbarländern natürlich dazu. One family!

An diesem Gedenktag möchten wir an die im Dienst verstorbenen Kollegen erinnern, ihnen ein ehrenvolles Andenken bewahren, zusammenstehen. Anerkennung und Ehrung der Toten, aber auch Anerkennung für die Kolleginnen und Kollegen, die weiterhin ihren Dienst versehen, die dünne blaue Linie zwischen Gut und Böse verteidigen. Und sei es bis zum letzten Atemzug.