Gedanken einer Polizistin, deren Mann sich gerade im Nachtdienst befindet: Ich kann nicht schlafen
„Ich bin Polizistin,
genauso wie mein Mann.
Trotzdem habe ich Angst.
Ich habe jede Nacht Angst,
dass er nicht mehr nach Hause kommt.
Angst, dass er nicht mehr
der Vater meiner Kinder werden kann.
Ich weiß was da draußen los ist.
Ich kenne die Gefahr.
Dabei arbeiten wir nicht mal in der Stadt,
wir sind ein Landrevier.Trotzdem kann ich kaum schlafen.
Ich lasse mein Handy nachts an
wenn er arbeitet.
Das mache ich sonst nie.
Aber ich habe Angst.
Angst vor einem Anruf,
der von unseren Kollegen kommt.
Dabei
bin ich doch selbst Polizistin.“
—————
Die Kollegin ist uns namentlich bekannt, möchte jedoch anonym bleiben.
Wie sieht es bei euch aus, kennt ihr das auch? Schreibt uns eure Gedanken dazu.
Andere Branche – gleiche Berufung – ähnliche Ängste –
eine Medaille mit zwei Seiten
Eigentlich wollte ich immer zur Polizei, bis heute
erfülle ich nicht mal die Anforderung der Mindestgröße und so führte mich der
Weg nach dem Abi in den kaufmännischen Bereich. Es hätte passen können, tat es
aber nicht. Ich wollte mit Menschen arbeiten, mich für Menschen einsetzen und
mich für diese stark machen. Also folgte ein Studium der Sozialen Arbeit. Nach
dem Abschluss fing ich bei einem der größten Träger hier in der Region in einer
Wohngruppe für Jugendliche an. Nach kurzer Zeit wurde diese von einer
gemischten Regelgruppe in eine Mädchenintensivgruppe umstrukturiert.
Herausforderndes Klientel, psychische Krankheiten, Substanzmittelmissbrauch und
was man noch so kennt. Was viele vergessen, auch dies sind Menschen. Menschen,
die zum Teil schon verloren haben, bevor sie geboren wurden. Menschen, die nur
bedingt etwas für ihre Situation können und alle sehen nur ihr falsches
Verhalten – die Frage nach dem Warum bleibt auf der Strecke. Von diesen Mädchen
habe ich viel gelernt. Vieles hat einen Sinn, es muss nur nicht meiner
sein.
Die härteste Lektion ist, Mädchen zu verlieren, weil
sie aus dem System fallen, da sie die Kooperation verweigert haben, sich
entziehen oder selbst schädigen..
Mit Menschen zu arbeiten bedeutet sich auseinander
zusetzen, Konflikte zu meistern und manchmal gehören Krisen in meinem Job dazu.
Krisen, die in körperlicher Gewalt enden und Verletzungen nach sich ziehen.
Dies toleriere ich in keinem Fall.
Meine Schwester und meine Eltern sind daher nicht
begeistert von meinem Job. Ein ungutes Gefühl gehört nun mit dazu.
Vor kurzem bin nicht dem Löschzug der Freiwilligen
Feuerwehr meines Ortes beigetreten. Ich schätze die Kameradschaft und den
Zusammenhalt. Außerdem lerne ich viel aus einem Gebiet was ich noch nicht
kenne.
Meiner Familie muss ich meinen Entschluss noch
mitteilen.
Diese Kinder und Jugendlichen sind eine Medaille mit zwei
Seiten.
Natürlich gehören Krisen im Arbeiten mit Menschen dazu. Im
schlimmsten Fall arten Konflikte in Gewalt aus. Ich befürworte dies nicht und
dulde Gewalt auch nicht, aber Kinder lernen am Modell…sie lernen von ihren
Eltern. Alternative Handlungsstrategien erarbeiten gehört zu meinem Job, aber
ich kann nicht in drei Monaten gerade biegen was Eltern 15 oder 16 Jahre lang
verbockt haben.
Viele sehen von diesen Kindern und Jugendlichen häufig nur
die schlechten Seiten und viele werden oder sind schon euer Klientel. Diese
Kinder haben manchmal schon verloren, bevor sie geboren wurden und nach dem „Warum“
fragt niemand mehr.
Angriffe auf Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizisten will
ich damit keinesfalls rechtfertigen, aber unser System versagt. Kindern sind
Eltern per Funktion ausgeliefert und oft kommt jede Hilfe zu spät, weil viele einfach
wegsehen.
Wegsehen ist in unserer Gesellschaft zur Mode geworden und
verträgt sich wunderbar mit Angst als Rechtfertigung. Angst Jugendliche, die
die Schuhe in der Bahn auf den Sitz legen anzusprechen, weil diese zuschlagen
könnten, Angst den Nachbarn zu bieten leiser zu sein, weil dieser pöbeln
könnte, Angst Schwächere zu schützen, weil man selbst verletzt werden könnte.
Ein Sprichwort der Lakota besagt: Um ein Kind zu erziehen,
braucht man ein ganzes Dorf. Ja aber unsere Gesellschaft fordert zwei
berufstätige Eltern und einen losen bis gar keinen Familienverbund, die Erziehung
wird an die Schule angegliedert, die dies nicht leisten kann und die Kinder
bleiben auf der Strecke und letztendlich dreht sich die Spirale der
Respektlosigkeit, der Ellbogengesellschaft und zum Teil auch der Gewalt weiter.
Vielleicht sollte man einfach mal wieder hinsehen, mit
Leuten ins Gespräch kommen, für andere ein Ohr haben und sich dann einfachmal
die Zeit nehmen. Für andere und auch für sich.
Ich schätze eure Berufsgruppe sehr und hoffe jedes Mal wenn
ich Sondersignale höre, dass alle wieder heil nach Hause kommen. Beruflich habe
ich oft mit euren Kollegen zu tun und versuche immer ein Lächeln zu
hinterlassen. Ein freundliches Wort, zaubert manchmal auch ein freundliches
Lächeln.