Ein sehr persönlicher Einblick von Nadine: Ich bin psychisch krank und musste erst begreifen, wie viel Leid ich anderen zugefügt habe

8. September 2018 um 19:25

Ein sehr persönlicher Einblick von Nadine: Ich bin psychisch krank und musste erst begreifen, wie viel Leid ich anderen zugefügt habeImmer wieder müssen wir von Polizeieinsätzen berichten, bei denen es am Ende heißt, dass dieser Mensch, der den Einsatzanlass gegeben hat, “psychisch krank” sei. Doch was genau heißt das, “psychisch krank”?

Nadine hat uns kürzlich ein sehr offenes und persönliches Geständnis gemacht, welches Einblick in das Seelenleben von psychisch Kranken gibt und zeigt, warum diese Menschen, die dringend professionelle Hilfe benötigen und erst annehmen müssen, für ihr Handeln meist nicht verantwortlich gemacht werden können:

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Hallo liebes Polizist=Mensch Team.

Seit kurzem verfolge ich Ihre zunehmenden Einsätze durch psychisch erkrankte Menschen und auch die Kommentare dazu.

Ich bin 40 Jahre alt und mir geht es so wie jedem Siebten da draußen (die Dunkelziffer liegt definitiv höher) und bin psychisch krank. Vor anderthalb Jahren erlebte ich den absoluten Tiefpunkt, indem ich ein Messer in meiner Hand hielt und mich abschlachten wollte. Ja abschlachten.

Keine Faser meines Körpers wollte mehr diesen schier unerträglichen Zustand ertragen. Dass es nicht meine Katze traf, einen Nachbarn und auch ich überlebt habe, verdanke ich einem letzten Impuls mir in letzter Sekunde Hilfe zu holen.

Es folgten viele Wochen Psychiatrie und erst dort wurde ich langsam wach. Wie viele andere Patienten, die zeitgleich mit mir dort waren, musste ich lernen, dass ich über einen langen Zeitraum bis zu meinem Mega-Gau-Tag sehr krank geworden bin und ich nicht mehr ich selbst war.

Mein Verhalten war zutiefst gestört und ich war meilenweit von einem gesunden und rationalen Denken entfernt. Ich bzw. wir mussten auch langsam, step by step, begreifen, wie viel Leid wir anderen Menschen zugefügt haben. Dies war nie unsere Absicht und oft erfüllt uns im Nachhinein unser Verhalten unseren Mitmenschen gegenüber mit großem Schmerz.

Oft, wenn wir keine professionelle Hilfe bekommen, leben wir unsere Erkrankung pur aus. Folgen falschen Impulsen. Gegen uns selbst, aber auch gegen andere. Dies tut mir alles sehr leid. Mir tun beide Seiten leid. Ich fühle mit dem Erkrankten, aber auch mit allen Personen die durch ihre Arbeit mit uns zu tun haben.

Bitte verzeiht uns. Ich weiß, dass es sehr schwer ist uns zu verstehen, aber oft sage ich, bestimmte Stimmungen hatten mich so sehr im Griff, sie abzuwenden, war irgendwann so unmöglich, als würde man bei einer Bronchitis den Hustenreiz unterdrücken wollen. Ohne professionelle Hilfe geht es irgendwann nicht mehr.

Ich schreibe das hier auch alles, da ich selbst mitbekomme wie viele Menschen krank werden und wie sehr ich zuletzt auf Hilfe anderer angewiesen war. Kein Mensch wird schlagartig krank. Oft ist es ein langer Weg in die Hölle.

Wenn wir es alle schaffen, wieder mehr mit offenen Augen und offenen Herzen unseren Mitmenschen gegenüber, durch das Leben zu gehen, dann sehen wir womöglich früher, dass es da jemanden gibt der Hilfe braucht. Und ja, ich weiß auch, es gibt welche die wollen es nicht annehmen, aber lieber einmal zu viel reagieren als einmal zu spät.

Und noch einmal, falls es untergegangen ist. Ich denke ich schreibe im Namen vieler Erkrankten die auf dem Wege der Besserung sind. Danke, dass es Euch gibt!

Danke, dass Ihr uns helft, auch wenn wir uns wehren.

Danke, dass ihr uns schützt. Vor uns selbst oder davor großen Schaden anzurichten.

Ebenso ein ganz ganz großes Entschuldigung für den Schmerz den wir Euch/Ihnen in unseren schwärzesten Momenten unseres Lebens zugefügt haben.

Alles Gute und Liebe von Nadine”

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Nadine erzählte uns außerdem, dass sie auf dem Wege der Besserung ist und mittlerweile wieder froh ist am Leben zu sein.

Wir wünschen ihr, aber auch den vielen anderen psychisch kranken Menschen, dass sie jemanden haben, der sich um sie kümmert, der aufpasst und Hilfe holt, wenn es notwendig ist, und dass sie alle aus ihrem tiefen Tal wieder heraus kommen, damit sie eines Tages, wie Nadine, auch wieder froh sein können, am Leben zu sein!

Wir Polizisten sind manchmal die einzigen Personen, die im Akutfall eingreifen können und müssen, oft auch gegen deren Willen. Doch wie man sieht, sind diese Menschen in dieser Situation nicht sie selbst und hinterher sogar dankbar, dass es jemanden gab, der beherzt eingegriffen hat.

An dieser Stelle geht auch ein Dank an alle Ärzte und Pfleger, die sich in den psychiatrischen Einrichtungen um diese Menschen kümmern und in einem oft langwierigen Prozess versuchen, den Menschen wieder in ein normales Leben zu helfen. Ihr macht einen schwierigen und wichtigen Job!