Gedanken von Caro: Mobbing in Uniform – Schaut hin und nicht weg!

8. Juni 2019 um 20:27

 Du bist hier: Startseite » Erfahrungsbericht » Gedanken von Caro: Mobbing in Uniform – Schaut hin und nicht weg!Wir Polizisten sind für die Schwachen, die Hilf- und die Wehrlosen da. Unsere Aufgabe ist es, uns vor die Wehrlosen zu stellen und sie zu schützen und nicht andere ohne Not in eine Wehrlosigkeit zu treiben. Doch auch das gibt es bei der Polizei, wie uns unsere Kollegin Caro nun berichten wird:

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“Ein Blick oder ein Stöhnen und schon fühlt man sich unwohl. Ein Stöhnen oder einen Augenverdrehen und die Unsicherheit wird immer größer. Selbstbewusstsein kennst du nicht und das Getuschel hinter deinem Rücken gibt dir auch nicht gerade ein gutes Gefühl.

Mobbing war lange Zeit ein Tabu-Thema und als es dann plötzlich in der Gesellschaft Fuß fasste, wollte niemand darüber reden. Im Gegenteil: es wurde tot geschwiegen. Mobbing in unserer Schule? Hier doch nicht! Mein Kind mobbt doch nicht! Betroffene trauen sich nicht darüber zu reden, da sie die Konsequenz daraus fürchten und die Täter machen einfach weiter, da ihr Verhalten keine Konsequenzen hat. Ein ewiger Teufelskreis.

Oftmals kann man aus diesem Kreis nur ausbrechen, wenn ein Außenstehender eingreift. Aber dann ist es oftmals schon zu spät. Umso wichtiger ist es, die Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren.

Warum ich das alles schreibe? Vielleicht könnt Ihr es nicht glauben, aber ich habe das auch erlebt. Ich wurde gemobbt und habe in der Konsequenz daraus mein Studium nicht bestanden. Bitte denkt jetzt nicht, dass ich zu denen gehöre, die ihre Misserfolge und ihr Scheitern mit diesem Thema rechtfertigen will. Gewiss nicht. Scheitern hat meistens mehrere Gründe. Wie auch hier.

Im Groben kann ich sagen, dass ich einfach zu jung war und alles auf die leichte Schulter genommen habe, aber den Rest gab mir dann das Verhalten der Menschen, die eigentlich meine Kameraden hätten sein sollen.

Es fing alles sehr gut an. Über eine Plattform lernte ich einige meiner späteren Studiengruppe kennen. Wir trafen uns einen Tag, lernten uns kennen und befanden, dass wir eine gute Gruppe wären. So trug ich mich am Organisationstag in die Liste zu den anderen. Ein neuer Abschnitt begann für mich. Mit frischen 18 Jahren, 190 km von zu Hause entfernt.

Zunächst lief alles gut. Man verstand sich, aber irgendwann bildeten sich Gruppen. Den Zeitpunkt ein Teil irgendeiner Gruppe zu werden, hatte ich verpasst. Mir fiel das erst viel zu spät auf. Stattdessen engagierte ich mich im Unterricht, meldete mich viel, war oft die Erste, die sich freiwillig für die Praxis meldete, war aber schriftlich nicht ganz so stark, wie die anderen. Das gefiel ihnen nicht. Überhaupt gefiel ihnen vieles nicht von dem, was ich tat.

Das Schlimme ist, dass ich nicht mal genau sagen kann, wann ich begann mich nicht mehr wohl zu fühlen. Es waren Kleinigkeiten am Anfang. Hier ein Spruch, da ein böser Blick. Irgendwann fingen sie an mein Verhalten auseinander zu pflücken, auch wenn es nichts gab, was man hätte fleddern können. Für sie gab es immer etwas.

Es waren längst nicht alle gegen mich, aber es traute sich einfach keiner, etwas zu sagen, um nicht selbst in den Fokus zu rücken. Stattdessen wurden mir aufmunternde Worte zugeschoben, wenn man mich in der Umkleide nach Feierabend traf und sonst niemand im Raum war.

Für mich gab es zu diesem Zeitpunkt Etappenziele. Erst war das Etappenziel das Praktikum, dann die nächste Klausur bis es irgendwann der Feierabend wurde. Es war eine Erlösung nach Unterrichtsschluss in die Umkleide zu gehen und mit der Uniform die Probleme abzulegen.

Aber auch das klappte irgendwann nicht mehr. Spätestens, als ich beim Betreten des Klassenraumes das Getuschel hörte, das Gefühl hatte in der Pause würde über mich hinter meinem Rücken geredet oder jede Kleinigkeit meines Verhaltens würde auseinander genommen. Irgendwann konnte ich auch das nicht mehr mit der Uniform ablegen und nahm es mit Heim.

Ich begann zu Essen und Antriebslos zu werden. Ich nahm zu, wurde zunehmend unsportlicher und gab mich auch ein Stück weit auf. Mein Alltag bestand daraus den Unterricht zu überstehen, nach Hause zu kommen, zu essen (natürlich alles, außer gesunde Sachen und auch garantiert nicht in Maßen), sich in eine virtuelle Welt zu flüchten und zu schlafen.

Lange versuchte ich dieser Situation etwas Positives abzuringen, versuchte meine Fehler zu finden, um diese zu verbessern. Ich blieb in der Pause im Klassenraum. Dachte, dass ich so keinen Gesprächsstoff liefern würde, aber auch das wurde zerpflückt. Mit meinen Eltern redete ich nicht darüber. Erst, als es schon zu spät war.

Eine Lehrerin beobachtete meine Veränderung und sprach unsere Studiengruppensprecher darauf an. Sie suchten das Gespräch mit mir und da brach ich emotional zusammen. Es wurde ein Gesprächstermin mit der Klasse gemacht. Dieser war eine einzige Katastrophe.

Es ist nie eine gute Idee, den Betroffenen vor eine Gruppe Menschen zu stellen und diesem alles an den Kopf zu werfen, was sie an diesem schei*** finden.
Bald darauf wurde ich entlassen, da ich eine Klausur nicht bestanden hatte. Damit hatte sich die Sache erledigt. Für alle.

Falls Ihr über das Wort Uniform gestolpert seid. Es war ein Studium bei der Polizei, was diese Geschichte vielleicht ein Stück weit erschreckender macht. Diejenigen, die damals so mit mir umgegangen sind, sind heute alle im Polizeidienst tätig. Ich weiß nicht, ob einer von den beiden Hauptpersonen jemals ihr Verhalten mir gegenüber leid getan hat. Im Prinzip ist es auch egal, denn das würde mir nicht helfen.

Letztendlich konnte mir auch keiner sagen, warum es so weit gekommen ist oder warum es mich traf. Fakt ist, dass es mich nachhaltig verändert hat. Noch heute denke ich viel zu lange darüber nach, ob irgendetwas hätte anders machen sollen. Ich reflektiere was ich sage, tue oder denke und das völlig unbewusst und permanent. Ich habe ständig Angst, etwas falsch zu machen und mich bei Menschen in meiner Umgebung ins Aus zu schießen. Ich verschließe mich deutlich mehr, als damals. Manchmal habe ich auch Angst mich anderen gegenüber zu öffnen.

Das erste Mal über diese Sache habe ich mit meinen Eltern gesprochen. Es zog mir den Boden unter den Füßen weg, als mein Vater sagte, dass mein Verhalten dafür gesorgt haben muss, dass man so mit mir umgegangen ist. In seinen Augen war ich selbst schuld, was daran lag, dass er kein Verständnis dafür hatte. Nachdem wir darüber gesprochen hatten, sah er es anders und begann zu verstehen.

Mit Außenstehenden darüber zu sprechen, hat lange gedauert. 4 Jahre nach dieser Erfahrung habe ich das erste Mal mit einer Gruppe darüber gesprochen. Meiner Ausbildungsgruppe. Vier Jahre, eine reifere Caro und eine andere Ausbildungsgruppe später konnte ich nach 1 ½ Jahren Ausbildung mit meinen Kollegen über ein Thema sprechen, welches mich noch immer beschäftigt. Und sie haben mit mir zusammen geweint. Ich durfte Schwäche zeigen und bewies in den Augen meiner Kollegen dadurch Stärke. So ein Erlebnis gibt Kraft.

Warum ich all das geschrieben habe? Weil ich Euch bitten möchte, nicht weg zusehen, sondern einzugreifen, wenn ihr so etwas mitbekommt.

Mobbing verändert Menschen nachhaltig und unwiderruflich. Manche Menschen gehen auf Grund dessen auch freiwillig in den Tod. Man kann dieses Thema nicht beschönigen, aber man kann damit vorsichtig umgehen.

Ich könnte ausrasten, wenn Menschen sich hinstellen und lapidar behaupten, dass sie ihre Ausbildung nicht bestanden haben, weil sie gemobbt wurden. An der Art, wie sie es sagen, kann man meistens genau erkennen, ob das nur ein Vorwand war oder es eine Tatsache ist. Ich könnte ausrasten, wenn Mobbing, als Entschuldigung vorgeschoben wird. Dafür ist dieses Thema einfach viel zu sensibel!

Ich hoffe einfach, dass ich dem ein oder anderen die Augen öffnen oder mehr Verständnis schenken konnte mit diesem Beitrag. Er war mir eine Herzensangelegenheit. Seht bei diesem Thema nicht weg, sondern helft denen, die in dieser Situation zu schwach sind, um sich zu wehren. Seid ihnen eine Stütze und zeigt ihnen, dass sie nicht allein sind. Das wird helfen!

Eure Caro

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Leider kommt es immer wieder zu Mobbing oder Bossing (Mobbing durch Vorgesetzte), auch innerhalb der Polizei. Aber gerade wir sollten zusammenhalten und uns nicht noch gegenseitig fertig machen. Dass man den ein oder anderen Kollegen vielleicht nicht mag, ist ganz normal. Aber man sollte so Erwachsen sein (Stichwort Vorbildfunktion), dass man dies professionell handhaben kann. Man muss keine besten Freunde sein, aber man sollte normal miteinander umgehen können. Zumindest dienstlich.

Wie solche Fälle enden können haben wir leider nicht nur einmal erlebt. Leider trauen sich viele Kollegen nicht darüber zu reden, auch wenn es Anlaufstellen für Betroffene gibt.

Gerade auch Vorgesetzte sollten hier nicht auch noch mitmachen oder aufhetzen, sondern gegensteuern und wenn es Probleme innerhalb der Schicht oder der Einheit gibt, diese mit den betreffenden Personen in einem persönlichen Gespräch klären.

Auch die “Kollegen” die bei Mobbing mitmachen oder es wortlos zur Kenntnis nehmen, sollten ihr Handeln hinterfragen und nicht einfach mitmachen. Sie sollten Vorgesetzte informieren und sich vor ihre Kollegen stellen, die Ziel des Mobbings sind. Denn wer nichts tut macht mit!

Unsere Aufgabe als Polizisten ist es schließlich, den Wehrlosen beizustehen…

Für Polizisten gibt es die Polizeiseelsorge, Polizeipsychologen oder Sozialberater, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind und Hilfe bieten können. Aber auch außerhalb des polizeilichen Systems ist Hilfe möglich, denn darüber reden ist schon ein Anfang und hilft. Hilfsangebote haben wir hier zusammen gefasst.