Gedanken von Mia (Polizistin): Einfach nur Kollegen?

23. August 2019 um 19:20

Gedanken von Mia (Polizistin): Einfach nur Kollegen?Unsere Kollegin Mia drüben bei Tagebuch einer Polizistin hat mal versucht, das Gefühl der Kollegialität zu beschreiben – jene Mischung aus Pflichtgefühl und Zusammengehörigkeit, welches von Kritikern gerne negativ konnotiert als Korpsgeist beschrieben wird und welches Soldaten als Kameradschaft kennen:

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Einfach nur Kollegen?

141 Tage bin ich erst Polizeikommissarin. 141 Tage. Das ist, im Vergleich zu Kollegen, die schon einige Zeit – einige Jahre – dabei sind, sehr wenig. Und doch kann und möchte ich auch jetzt schon von meinen Erfahrungen berichten.

Als ich vor vier Jahren noch ein duales Studium im Bereich ‘International Business’ gemacht habe, waren die Kollegen in der Firma einfach nur Kollegen. Klar, wurden aus einigen auch Freundschaften, aber im Großen und Ganzen waren es eben die Kollegen, mit denen man den lieben langen Tag zusammenarbeitet.

Dann gibt es noch Freunde und Familie. Sie kennen einen gut, sehr gut. Die Familie noch besser, je nachdem wie da die Beziehung und der Kontakt ist. Den besten Freunden erzählt man alles. Man verabredet sich, unternimmt Sachen, man spricht über Gott und die Welt und über alles Mögliche. Man kennt sich. Vielleicht sogar in- und auswendig, die tiefsten Geheimnisse.

Und dann gibt es die Polizei. Und die Kollegen da. Was soll ich sagen. 141 Tage und ich weiß, dass das eine komplett neue Gruppe an Menschen ist. Es sind nicht einfach nur Kollegen. Es sind nicht einfach nur Freunde. Man nennt es nicht grundlos ‘Polizeifamilie‘. Ich spreche nun nicht von allen, die ebenfalls bei der Polizei arbeiten. 90% davon kenne ich nicht einmal. Aber es sind die direkten Kollegen – die Dienstgruppe, die Menschen, mit denen man im Funkwagen sitzt. Es ist eine Beziehung, die sehr schwer in Worte zu fassen ist.

Aber ich versuche es mal. 141 Tage. Und ich habe bisher ein paar Situationen mit meinen Kollegen erlebt, die einen einfach verbinden. Ich denke, dass es sehr schwer für Außenstehende ist, das zu verstehen. Auch für mich nach 141 Tagen sind die Auswirkungen der gemeinsamen Einsätze noch nicht einzuschätzen. Das wird mit den Jahren sicher noch um einiges verstärkt. Aber was ich bisher sagen kann:

Man kann die Kollegen, mit denen man so viel Zeit verbringt, nicht mit einem Wort beschreiben. Es gibt dafür keinen passenden Begriff. Der einzige, der nah daran kommt ist eben der, der Polizeifamilie.

Wieso ist das so, bzw. wieso sehe ich das so?

Ich denke, dass meine Ansicht viele Kolleginnen und Kollegen teilen. Besonders auf dem Funkwagen, wo man viel Zeit zu zweit verbringt und über alles Mögliche spricht. Wenn man dann noch auf einer Wellenlänge ist, gerne zusammenfährt und man merkt, dass man auch persönliche Dinge besprechen kann, dann wächst das Vertrauen. Dann muss nur die erste Situation kommen, indem man das volle Vertrauen auch im Einsatz beweist und die Beziehung wechselt auf eine komplett neue, andere Stufe. Eine Stufe, die eine normale Bekanntschaft im Alltag in meinen Augen niemals erreichen kann.

Man durchlebt Extremsituationen:

Es sind Situationen wie eine Schlägerei, bei der man sich plötzlich als zwei Beamte in der Mitte von 15 aggressiven Personen wiederfindet. Es sind Anblicke von Leichen, bei denen man sich gegenseitig nach dem Einsatz aufbaut und seine Sorgen und Gedanken teilen kann. Es sind die häuslichen Gewalten, bei denen man den anderen unterstützt, einen klaren Kopf zu bewahren.

Es sind die Angriffe auf Polizeibeamte (auch verbal), die einem eigentlich den letzten Nerv rauben, aber dein Kollege ist da, um dich aufzufangen und aufzubauen. Und das waren nur einige Beispiele. Festnahmen, Widerstände, der Einsatz von einfacher körperlicher Gewalt, die Zusammenarbeit, wenn man einem Täter mit Messer in der Hand gegenübersteht

Es gibt Situationen mit psychisch Kranken Personen, bei dem einem der Atem wegbleibt und man darauf vertrauen kann, dass der Partner einem dem Rücken stärkt. Es sind Verkehrsunfälle, bei denen man miterleben muss, dass es ein Opfer nicht überlebt und man daraufhin jemanden braucht, mit dem man darüber reden kann – von Kollege zu Kollege.

Man arbeitet ZUSAMMEN. Und das „Zusammen“ bekommt in der Polizei eine ganz neue Bedeutung.

Die Bereitschaftspolizeien, die beim G20 Gipfel dabei waren und das ‘Schlachtfeld’ erleben mussten, die für den Bürger, die Sicherheit der Stadt und für das eigene Überleben gekämpft haben. Oder der Anblick der erst eintreffenden Beamten beim Anschlag auf den Breitscheidplatz vor einigen Jahren.

Es sind Situationen, die ich mir vor der Polizei niemals erträumt hätte. Es sind Erlebnisse, die einige der Beteiligten niemandem so erzählen können, wie den eigenen Kollegen. Denen, die dabei waren. Die, die selbst erlebt haben, wie es ist.

Bei den G20- und Breitscheidplatz-Einsätzen war ich nicht dabei und kann deshalb nur mutmaßen, was für Gespräche die Beamten danach gehabt haben mussten. Fest steht aber, dass die Gespräche mit Sicherheit andere waren, als mit einem Psychologen (zum langfristigen Verarbeiten) oder mit der Familie (die das Ganze gar nicht so nachvollziehen kann). Ich kann mir nur vorstellen, dass die eigenen Kollegen in der ersten Sekunde die beste Unterstützung waren, bevor man in die professionelle Verarbeitung der Situation übergeht.

Aber zurück zum Funkwagen, denn darauf kann ich bisher nur meine Erfahrungen stützen. Man verbringt 10-12 Stunden miteinander. Man erlebt Situationen, man feiert Erfolge, aber man stützt einen auch bei Misserfolgen.

Auch im Dienst kann man manchmal die negativen Seiten im Privatleben nicht ablegen. Man ist als Polizeibeamter im Vollzugsdienst dazu angehalten, den Kollegen zu sagen, wenn es einem Mal nicht gut geht. Und das nicht nur körperlich. Das soll dazu dienen, dass die Kollegen immer Bescheid wissen. Habe ich z.B. Familienprobleme und bin möglicherweise mit dem Kopf ab und an Mal wo anders, dann holen einen die Kollegen wieder auf den Boden zurück und helfen dir, die volle Aufmerksamkeit auf die Situation zu legen. Das können sie aber nur, wenn sie über den Umstand informiert sind. ‘In der Lage leben’. Deinen Kollegen deine Probleme zu äußern, ist auch ein starker Vertrauensbeweis.

Und es bleibt nicht aus, dass man dann ins Gespräch kommt. Auf einer Streifenfahrt durch den Bereich redet man über alles Mögliche. Es sind Gespräche, die 100% zwischen den anwesenden Personen bleiben. Es verbindet und daraus wächst eine zwischenmenschliche Beziehung, die teilweise mit mehr vertraulichen Informationen gefüttert ist, als die zur Familie oder zum Partner.

Das klingt verrückt? Oh ja, das dachte ich auch immer. Aber nichts ist vergleichbar zu dem, was man im Dienst erlebt.

Ich neige ein bisschen dazu, zu übertreiben, das wisst ihr ja inzwischen. Aber ich denke in diesem Thema ist es die einzige Möglichkeit, es auch nur annähernd in Worte zu fassen, was es heißt, ein Teil der Polizeifamilie zu sein. Auch hier wieder – und ich glaube langsam, das findet in jedem Thema zu dem ich Schreibe irgendwo seine Daseinsberechtigung –:

Je besser man als Team funktioniert, umso mehr liebt man seinen Job und umso besser funktioniert die Zusammenarbeit. Dann ist es kein Beruf mehr, sondern die Berufung, die dafür sorgt, dass man gerne zur Arbeit geht und dass man es teilweise nicht mal als ‘Arbeit’ sieht.

Was ich damit sagen will? Die Verbindung zwischen Kolleginnen und Kollegen in der Polizei, die gemeinsam Extremsituationen erleben und verarbeiten, die stundenlang zusammen auf einem Wagen verbringen und sich gegenseitig Vertrauen schenken, ist unvergleichlich mit allem, was ich bisher erleben durfte.

Polizeifamilie und die besondere Verbindung zu den Kollegen.

Gez. Mia”