Eine polizeiliche Weihnachtsgeschichte: Ehre ist mehr als nur ein Wort
Als ich im Jahre 1974 ins Police Department eintrat, wusste ich, dass meine Familie bei vielen Festen allein sein würde. Obwohl mir das klar war, machte es die Sache nicht einfacher. Die verpassten Feiern machten mich in den ersten Jahren depressiv und manchmal wurde ich richtig verbittert. Arbeiten an Weihnachten, dass war immer am Schlimmsten.
Am Weihnachtsabend des Jahres 1977 lernte ich jedoch, dass ein Unglück auch mit Segen verbunden sein kann und dass Ehre mehr ist als nur ein Wort.
Ich fuhr gerade meine Solostreife von 16:00 bis 24:00 Uhr und die Nacht war bitterkalt. Überall wohin ich sah, wurde ich an Weihnacht erinnert. Familien packten ihre Fahrzeuge mit Weihnachtsgeschenken. Wundervoll dekorierte Weihnachtsbäume leuchteten aus den Wohnzimmern und die Dachrinnen waren mit kleinen Lichtern beleuchtet. Das alles verstärkte noch meine Feiertagsaversion.
Der Abend war relativ ruhig; lediglich Beschwerden über ein paar bellende Hunde und Fehlalarme. Dies alles lies die Nacht nicht schneller vergehen. Ich dachte an meine eigene Familie und ich versank immer tiefer in Depressionen.
Kurz nach 22.00 Uhr wurde ich von der Einsatzzentrale in die Wohnung eines schwerkranken Mannes gerufen. Ich parkte mein Streifenfahrzeug vor dem einfachen Anwesen, packte den Erste Hilfe Kasten und ging den kurzen Fußweg zur Eingangstür. Als ich anklopfte, öffnete mir eine ca. 80 Jahre alte Frau. „Er liegt hier drinnen“, sagte sie und zeigte mir den Weg ins Schlafzimmer.
Wir durchquerten das Wohnzimmer, das eingerichtet war mit Möbeln, wie sie eben so alte Menschen haben. Ein Ohrensessel stand am Kamin und das Sofa war mit einer alten Decke bezogen. Auf den Anrichten standen kleine Keramikfiguren, verschiedene Bilderrahmen und eine antike Uhr. Das Flurlicht verbreitete weiches dämmriges Licht.
Wir betraten ein kleines Schlafzimmer. Im Bett lag ein zerbrechlicher Mann, der bis zum Kinn zugedeckt war. Ein bewegungsloses schneeweißes skelettartiges Gesicht starrte hervor. Sein Atem ging stoßweise und er war mehr tot als lebendig. Die Ausrüstung zum Kampf gegen seine Krankheit war überall ersichtlich. Am Nachttischschrank lagen Pillen und die Sauerstoffflasche stand neben dem Bett. Die Beatmungsmaske lag auf der Bettdecke.
Ich fragte die alte Frau, warum sie die Polizei gerufen hatte. Sie zuckte nur mit den Schultern und sagte, dass es der Wunsch ihres Mannes gewesen sei. Ich blickte zu ihm und er blickte intensiv in meine Augen. Er schien plötzlich vollkommen ruhig. Ich verstand gar nicht seinen plötzlich eintretenden gelassenen Blick.
Ich schaute mich im Raum um und sah einen Kleiderständer mit einfacher Bekleidung, persönlichen Gegenständen, Porzellandosen, Parfümflaschen und Bildern an der Wand. Als mein Blick die Bilder streifte, blieb ich an einem hängen. Ich besah es näher und sah darauf einen Mann in Polizeiuniform. Es war eindeutig dieser Mann, der vor mir im Bett lag.
Nun wusste ich warum ich hier war.
Als ich ihn wieder anblickte, bewegte sich sein Arm unter der Decke hervor. Als ich ums Bett ging und mich neben ihn stellte, ergriff er meine Hand. Als ich merkte, dass seine Hand schlaff wurde, sah ich ihm in die Augen. Es war keine Angst darin. Ich sah nur Frieden.
Er spürte, er würde sterben und dass seine Zeit gekommen war. Ich wusste er hatte Angst vor dem, was vor ihm lag. Deshalb wollte er den Schutz eines Streifenpartners für seine Reise. Ein gnädiger Gott wollte, dass sein Kind auf der Reise zu ihm beschützt würde. Die Ehre, ihn begleiten zu dürfen, überkam mich.
Am Ende meiner Streife bildete ich mir ein, dass die Temperatur gestiegen war und all die Weihnachtsdekorationen ließen mich lächeln. Ich bemitleidete mich nicht länger, an diesem Heiligen Abend arbeiten zu müssen.
Ich habe einen ehrbaren Beruf ergriffen und ich bete darum, dass, wenn meine Zeit gekommen ist, ebenfalls ein Polizist meine Hand hält und mich hinüber begleitet, damit ich keine Angst haben muss.
Ich wünsche allen meinen Brüdern und Schwestern, die am Heiligen Abend Dienst leisten müssen, all die Wärme dieses besonderen Festes.
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Dieser Artikel, geschrieben von einem ehemaligen Polizeibeamten und Einwohner von Rockville (USA), erschien in der Zeitung „Rockville Centre Herald“. Übersetzung aus dem Amerikanischen durch Kollege Lothar Riemer.