Auf ein Wort: Warum werden so viele Polizisten im Einsatz verletzt? Können die sich nicht wehren?
Täglich werden Polizisten im Einsatz verletzt, hin und wieder berichten wir auch darüber, doch das ist nur ein Bruchteil von dem, was tatsächlich da draußen alles passiert. Wir konnten in unserer Recherche keine genauen Zahlen eruieren, lediglich aus Österreich konnten wir halbwegs aktuelle Zahlen finden. Demnach werden laut Innenminister Herbert Kickl pro Woche im Schnitt 45 Polizisten im Einsatz verletzt, das sind pro Tag sechs bis sieben Beamte.
In Deutschland werden die Zahlen ähnlich oder noch höher ausfallen, da es in Deutschland mehr Großstädte gibt und innerhalb dieser findet auch mehr Gewaltanwendung statt, als auf dem Lande, wo sich die Polizei auch teils aus der Fläche zurück gezogen hat.
Immer wieder, wenn wir über Angriffe auf Kollegen berichten, kommen dieselben Fragen, manchmal bewusst provokant gestellt, oft aber in völliger Unkenntnis. Hier möchten wir nun aufklären.
Können sich Polizisten nicht wehren?
Doch, können sie, und viele sehr erfolgreich (über die man meist nichts zu lesen bekommen wird). Zunächst möchten wir erst einmal feststellen, dass die mächtigste Waffe des Polizisten das Wort ist! Erst einmal wird, wenn möglich, versucht, einen Streit zu schlichten oder Personen, die aufgebracht, aggressiv oder verbal “gewalttätig” sind, zu beruhigen, die Situation zu bereinigen. Lieber eine Stunde reden, als nur fünf Minuten und sich dann auf dem Boden wälzen. Da kann es nur Verlierer geben, selbst wenn wir Polizisten meistens im Nahkampf sowieso “gewinnen” (auch wenn es dabei Verletzte gibt).
Teil der Ausbildung oder des Studiums ist die Selbstverteidigung. Hier werden grundlegende Griffe und Techniken vermittelt, die uns helfen sollen Angriffe abzuwehren, Personen zu fixieren und festnehmen zu können. Flankiert wird dieses Selbstverteidigungstraining vom Einsatztraining, bei dem situativ Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie man sich wehren kann und die polizeiliche Maßnahme zum Abschluss bringen kann. An dieser Stelle herzlichen Dank an alle Einsatztrainer!
Doch diese Aus- und Fortbildung müsste öfter betrieben werden, doch hierzu fehlt es den Streifenkollegen an Zeit und den Einsatztrainern an Kapazitäten. Wer mehr lernen und öfter trainieren möchte, muss sich privat umschauen. Egal ob Kampfsport, Krav Maga oder wie sie alle heißen, es gibt Möglichkeiten sich weiterzubilden, nur eben in der Freizeit und privat finanziert. Klar wäre das eine Möglichkeit, doch manchmal fehlt im privaten Raum schlicht und ergreifend die Zeit oder die Möglichkeit dafür.
Und selbst wenn man sich privat regelmäßig darum kümmert, zu trainieren und sich fortzubilden, ist man nicht gegen Verletzungen gefeit. Der Straßenkampf – anders kann man die nicht gerade seltenen tätliche Übergriffe des polizeilichen Gegenübers nennen – folgt keinen Regeln. Es gibt keinen Ringrichter, die “Rundenzeit” dauert länger als drei Minuten und niemand wird für seine Haltungsnote oder den verwendeten Griff belohnt.
Es geht ums nackte Überleben bzw. darum, zu gewinnen. Und oft geschehen diese Angriffe unvorhergesehen. Die Angriffe kommen aus dem Nichts und eine solche Situation kann man nicht trainieren. Im Wettkampf und auf der Leinwand sind die Kontrahenten vorbereitet und folgen Regeln. Im Zweikampf auf der Straße ist das nicht (immer) so. Zudem: Das polizeiliche Gegenüber sollte, muss sich aber nicht an Regeln halten und wird es deswegen auch nicht. Wir Polizisten müssen uns an Regeln halten, an Gesetze, Vorschriften, Leitfäden. Und genau das wird dann später intern und von der Justiz geprüft, ob wir das auch getan haben.
Selbst wer noch so gut ausgebildet ist in Selbstverteidigung und regelmäßig trainiert, kann einen plötzlichen Angriff aus dem Nichts heraus nicht abwehren. Er wird einstecken müssen und wird dadurch logischer Weise verletzt.
Habt ihr die Sachen am Gürtel nur zur Zierde?
Nein, haben wir nicht und wir setzen diese Einsatzmittel auch ein, aber gehen wir die Sachen doch der Reihe nach mal durch, die da wären: Einsatzstock, Pfefferspray, Handschellen und Dienstwaffe.
Fangen wir mit dem Pfefferspray an, da es das mildeste Mittel ist, wir sind in der Auswahl unserer Mittel schließlich an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden. Das Pfefferspray ist ein adäquates Mittel, es ist leicht, schnell zu greifen, wirksam und hinterlässt keine bleibenden Schäden. Tolles Produkt.
Jedoch: Bei übermäßigem Alkohol- und/oder Drogenkonsum, manchmal auch wegen eigener Exposition des Gegenübers, wirkt es nicht. Da kannst du zwei Dosen leer machen und der Proband zuckt nicht mal mit den Augenlidern.
Wenn es allerdings Wirkung zeigt, dann richtig und die knockt das polizeiliche Gegenüber kurzfristig aus, die Fixierung kann erfolgen. Oft bekommen die Kollegen auch noch gleich etwas davon ab, insbesondere dann, wenn grundlegende Regeln im Einsatz mit dem Pfefferspray nicht beachtet werden (können): Nicht gegen den Wind, möglichst nicht in engen Räumen und nicht im Nahkampf. Das Pfefferspray ist also nicht die eierlegende Wollmilchsau, aber dennoch sehr gut.
Die Handschellen sind gut um Personen, die bereits unter Kontrolle gebracht wurden zu fixieren und damit den Bewegungsspielraum stark einzuschränken, eine Gegenwehr unmöglich zu machen. Sie taugen also nicht zur Abwehr von Angriffen.
Der Einsatzstock wurde in den letzten Jahren mehr und mehr durch die sogenannten Teleskopschlagstöcke ersetzt. Auch diese sind effektiv, eigentlich sogar zu effektiv. Die alten Gummiknüppel hatten weniger Durchschlagskraft, damit konnte ein Kollege auf den Probanden einknüppeln, ohne ihn ernsthaft zu verletzen. Wo man mit dem Teleskopschlagstock hinlangt, da wird nichts heile bleiben, da er aus Metall ist. Ausnahme Tonfa, der ist meist aus Holz und benötigt ein eigenes Training, damit man sich nicht selbst verletzt und ihn effektiv einsetzen kann. Das haben die meisten Kollegen jedoch nicht, was aber am Geld (die Tonfa müssen beschafft werden) und an den Ausbildungskapazitäten liegen dürfte (siehe oben).
Auch beim Einsatzstock gilt es Regeln zu beachten. In einer Menschengruppe kann man ihn nicht einsetzen, wenn man nicht Unbeteiligte verletzten möchte. Auch im Nahkampf ist es schwer ihn zu ziehen, wenn man sich bereits schon mit dem Probanden rangelt. Siehe hierzu plötzlicher Angriff weiter oben.
Dann wäre da noch die Dienstwaffe, das allerletzte Mittel der Selbstverteidigung, im Beamtendeutsch ultima ratio. Da wir an die Verhältnismäßigkeit gebunden sind, dürfen wir Polizisten die Dienstwaffe nur bei akuter Lebensgefahr einsetzen. Die ist oft bei einem tätlichen Angriff (zum Glück) nicht gegeben, so dass sich deren Einsatz verbietet.
Dies ausdrücklich an die Adresse derer, die fix kommentieren: “Drauf los ballern und die Birne ist geschält!” Nein ist sie nicht, wir sind an das Gesetz gebunden und die verlangt von uns eine Stufenfolge in der Auswahl der Mittel (immer das mildeste wirksam erscheinende Mittel zuerst) und an die Verhältnismäßigkeit (nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen). Grundwissen Polizeirecht, könnt ihr nicht wissen, aber wir lernen es gleich am Anfang unserer Ausbildung/Studium, da es grundlegend für uns ist.
Zwar sollen wir möglichst kampfunfähig schießen, wenn wir situationsabhängig dann doch zu der Überzeugung kommen, dass der Einsatz der Dienstwaffe rechtlich möglich ist, jedoch ist auch das von vielen Faktoren abhängig. Bei einem Messerangriff aus kurzer Distanz nützt es nichts, einem aggressiven Menschen der vollgepumpt mit Adrenalin ist, auf die Beine zu zielen. Die paar Meter kann man in dieser Situation auch noch mit Loch im Bein zurück legen und schon war es um den Kollegen geschehen. Also bedeutet kampfunfähig in diesem Moment: die Waffe hochnehmen und abdrücken auf das, was den größtmöglichen Erfolg verspricht, den Torax.
Doch das geht nur, wie gesagt, bei einem entsprechend gefährlichen Angriff. Ansonsten verbietet sich der Einsatz der Dienstwaffe. Mit Rumballern wie im wilden Westen ist also nichts und daraus wird auch nichts werden. Wir Polizisten sind schließlich nicht dazu da den Vollstrecker zu spielen. Das ist nicht unsere Aufgabe und entspricht auch nicht unserem Selbstverständnis.
Tja, der Taser wäre auch eine tolle Sache, den gibt es nur nicht flächendeckend im deutschsprachigen Raum. Dem Föderalismus sei Dank kocht hier jede Landespolizei/Bundespolizei ihr eigenes Süppchen. Dabei sind die Taser (Beamtendeutsch: Distanzelektroimpulsgerät, kurz DEIG) bei den Spezialkräften schon seit Jahren im Einsatz. In manchen Bundesländern wir der Taser noch getestet, in anderen wurden die Kollegen zumindest in den Oberzentren damit ausgestattet, in anderen wiederum ist nahezu auf jeder Dienststelle und in jeder Dienstgruppe zumindest ein Kollegen ausgebildet und verfügt über ein Gerät.
Und das, was Kritiker immer wieder erfolgreich gegen die Taser ins Feld bringen, hat sich bei den Spezialkräften bislang nicht gezeigt. Die Taser werden nicht übermäßig eingesetzt, da sie, wie die Dienstwaffe auch, als Waffe gelten, mit den entsprechenden Anforderungen für ihren Einsatz. Der muss nämlich, wenn es noch möglich ist, vorher angekündigt werden und das ist dann auch nur, wie auch bei der Dienstwaffe, bei einer entsprechend hohen Gefährdungslage möglich. Meistens reicht schon die Ankündigung, den Taser notfalls einzusetzen, um das Gegenüber zu beruhigen. Wo nicht, da ist der Taser ein gutes Hilfsmittel einen Angreifer schnell kampfunfähig zu machen, ohne ihn jedoch gleich zu töten.
Ja, ganz ganz selten kommt es vor, dass jemand beim Tasereinsatz gestorben ist, weil das Herz des Angreifers zuvor bereits angeschlagen war. Da der Taser aber hierzulande wesentlich seltener eingesetzt wird als zum Beispiel bei den amerikanischen Kollegen, wird es hier mit Sicherheit bei sehr seltenen Fällen bleiben. Ansonsten gilt: Wer ein schwaches Herz hat, sollte sich nicht mit uns Polizisten anlegen, jedenfalls nicht im Zweikampf, wenn er nicht bereit ist, die Konsequenzen zu tragen.
Dennoch ist nicht zu erkennen, dass der Taser als mögliches zusätzliches Einsatzmittel, angesiedelt zwischen Pfefferspray und Dienstwaffe, in absehbarer Zukunft in Deutschland zur Standardausstattung des Streifendienstes gehören oder seinen waffenrechtlichen Status als Waffe verlieren wird. In Österreich und der Schweiz wird es ähnlich aussehen.
Damit wird eine Chance verpasst. Zumindest diejenigen Kollegen, die sich den Taser als Selbstverteidigungswaffe wünschen (und das sind nicht wenige), sollten die Möglichkeit haben damit zu trainieren und ihn einsetzen zu können. Aber hier liegt es, wie eigentlich immer, wenn es um die Ausrüstung der Polizei geht, am lieben Geld und den Trainingskapazitäten.
Doch wir möchten den Taser nicht über den grünen Klee loben. Er ist kein Allheilmittel, in Menschengruppen und im Nahkampf nahezu nicht zu gebrauchen (außer im Kontaktmodus und dann auch nur, wenn man ihn schon in der Hand hat), lediglich einsetzbar, wenn die Situation noch unter Kontrolle ist, aber zu eskalieren droht und das auch nur gegenüber einer einzelnen Person. Damit zeigt sich, für Verbandseinheiten bei Demos usw., ist der Taser kein gutes Einsatzmittel.
Zusammenfassung (tldr)
Wer unsere Ausführungen nicht lesen wollte oder konnte, weil sie zu lang sind, dem sei hier versichert: Wir können uns wehren, aber das ist nicht immer so einfach möglich, was dem Istzustand der Aus- und Fortbildung geschuldet ist oder der Tatsache, dass man einem plötzlichen tätlichen Angriff, der nicht vorhersehbar war, nichts entgegen setzen kann und damit Verletzungen vorprogrammiert sind. Das polizeiliche Gegenüber hält sich in aller Regeln an keine Regeln, wir als Polizisten müssen uns aber an Gesetze und Vorschriften halten. Das macht den Straßenkampf eigentlich unfair, weswegen wir auch über Waffen verfügen, die aber nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eingesetzt werden dürfen.
Und nein, wir sind keine Cowboys, die wildballernd einen Angriff verhindern möchten. Es gibt gute Einsatzmittel zur Selbstverteidigung, wenn die Situation es zulässt, wenn die Verhältnismäßigkeit gegeben ist und wenn wir über das entsprechende Mittel verfügen.
Danke für die Aufmerksamkeit!