Gedanken eines Polizisten: Ohnmacht

3. Juli 2021 um 19:41

Gedanken eines Polizisten: Ohnmacht„Wieder einer weniger“, möchte ich gern denken, als ich mit verschränkten Armen vor der eisernen Tür stehe. Ich höre, wie die Magnetverriegelung die Tür versperrt. „Nun ist die Welt ein kleines bisschen sicherer“, schwebt es mir im Kopf herum.

Leider weiß ich, dass die geschlossene Abteilung der psychiatrischen Anstalt bei weitem nicht so geschlossen ist, wie es viele vermuten würden.

Als ich vom Anschlag in Würzburg las, holten mich diese Gedanken wieder ein. Nahezu täglich weise ich Menschen ein, die eine akute Gefahr für sich selbst oder andere darstellen. Menschen mit Psychosen, die ihren Hausstand aus dem Fenster werfen, die sich das Leben nehmen wollen oder die andere auf offener Straße bedrohen. Nicht selten kommt es vor, dass ein und dieselbe Person mehrmals in der Woche eingewiesen wird, nur damit man ihr am nächsten Tag wieder auf der Straße begegnet.

Seit Jahren sind psychiatrische Einrichtungen überfordert. Bleiben kann nur, wer einen Platz bekommt. Der Großteil wird jedoch zur ambulanten Psychotherapie geschickt. Jeder, der es einmal ernsthaft versuchte, weiß, wie unmöglich es ist, kurzfristig einen Therapieplatz zu bekommen.

Und so beginnt das Spiel täglich vom Neuen: Eine Mitteilung, ein brenzliger Einsatz, eine Einweisung und das nervös-erleichterte Gefühl, dass es heute nochmal gut ging.

Da stehe ich nun wieder vor jener Tür, sehe noch einen Augenblick die Person an, die durch fünf Polizisten unter enormem Kraftaufwand auf einem Bett fixiert werden musste und frage mich, was sie wohl heute daran gehindert hat, mich oder andere schwerer zu verletzten. Und ich frage mich, ob es das auch morgen sein wird.

„Auf Wiedersehen“, lese ich von ihren Lippen ab, ehe ich mich umdrehe und gehe.

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Der Autor ist uns namentlich bekannt, möchte jedoch anonym bleiben.