Gedanken eines Polizisten: Ohnmacht
„Wieder einer weniger“, möchte ich gern denken, als ich mit verschränkten Armen vor der eisernen Tür stehe. Ich höre, wie die Magnetverriegelung die Tür versperrt. „Nun ist die Welt ein kleines bisschen sicherer“, schwebt es mir im Kopf herum.
Leider weiß ich, dass die geschlossene Abteilung der psychiatrischen Anstalt bei weitem nicht so geschlossen ist, wie es viele vermuten würden.
Als ich vom Anschlag in Würzburg las, holten mich diese Gedanken wieder ein. Nahezu täglich weise ich Menschen ein, die eine akute Gefahr für sich selbst oder andere darstellen. Menschen mit Psychosen, die ihren Hausstand aus dem Fenster werfen, die sich das Leben nehmen wollen oder die andere auf offener Straße bedrohen. Nicht selten kommt es vor, dass ein und dieselbe Person mehrmals in der Woche eingewiesen wird, nur damit man ihr am nächsten Tag wieder auf der Straße begegnet.
Seit Jahren sind psychiatrische Einrichtungen überfordert. Bleiben kann nur, wer einen Platz bekommt. Der Großteil wird jedoch zur ambulanten Psychotherapie geschickt. Jeder, der es einmal ernsthaft versuchte, weiß, wie unmöglich es ist, kurzfristig einen Therapieplatz zu bekommen.
Und so beginnt das Spiel täglich vom Neuen: Eine Mitteilung, ein brenzliger Einsatz, eine Einweisung und das nervös-erleichterte Gefühl, dass es heute nochmal gut ging.
Da stehe ich nun wieder vor jener Tür, sehe noch einen Augenblick die Person an, die durch fünf Polizisten unter enormem Kraftaufwand auf einem Bett fixiert werden musste und frage mich, was sie wohl heute daran gehindert hat, mich oder andere schwerer zu verletzten. Und ich frage mich, ob es das auch morgen sein wird.
„Auf Wiedersehen“, lese ich von ihren Lippen ab, ehe ich mich umdrehe und gehe.
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Der Autor ist uns namentlich bekannt, möchte jedoch anonym bleiben.
Das ist ein wirklich schwieriges Thema, da so komplex und mit einer Menge loser Enden. In einer Gesellschaft, die psychiatrisch relevante Erkrankungen eben auch verursacht, dann aber nicht damit umgehen will, und den Mangel an Versorgung, an Möglichkeiten verdrängt.
Weil das Geld kosten würde, mehr Möglichkeiten zu schaffen. Die Kräfte fehlen allenthalben, dieser Zustand wird allerdings lange schon erhalten. Personen mit weniger ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten können nicht ‘drin’ behalten werden. Seltsam dann, wo eine deutliche Vorgeschichte mit sich steigernden Vorfällen da ist, dass die keine stationären Plätze bekommen.
Warum müssen immer erst Menschen verletzt werden, oder sterben? Und wer verfügt über die Kompetenz, das Risiko zuzumuten? Schreibt man an Experten oder auch Politiker, gibt es allgemeine Antworten aus scheinbar Textbausteinen. Als kümmerte das nicht, bis zum nächsten Unglück.
Um Risiken der Bevölkerung zumuten zu können, muss es auf der anderen Seite aber auch Absicherung geben. Das kann man nicht allein der Polizei auf den Auftragszettel laden.
Psychiater leben ungern mit einer F20 im eigenen Familienhaushalt, aber jede zivile Person sollte das ausprobieren?