Gedanken eines Polizisten: Mein persönliches 25-Jähriges, innerlich wie äußerlich zerknittert
“Mein Schichtumlauf beginnt mit einem Spätdienst. Wochen vorher hatte ich eine Einladung erhalten. Mein Direktionsleiter lädt zur Urkundenübergabe ein, zum 25jährigen. Dazu soll ich eine Stunde früher da sein.
Wir sitzen im lockeren Rahmen im Büro des Dienststellenleiters zusammen. Neben mir bekommen noch zwei Kolleginnen ihre Urkunde ausgehändigt. Sie haben ihre Kinder mitgebracht, es sind Ferien. Direktion- und Dienststellenleiter wechseln sich in ihrer Rede ab. Es geht um Personalmangel, Geldmangel… Während der Dienststellenleiter resümiert, was es im Einstellungsjahr für wichtige Ereignisse gab (Gorbi, Wiedervereinigung, Take That wurde gegründet!), schweifen meine Gedanken ab. Ich schaue auf das Einladungsschreiben, welches vor ihm liegt und erst hier fällt mir etwas auf:
PHK’in…
POK’in…
PK (ich)Die beiden Kolleginnen haben jeweils mehrere Kinder und daher auch entsprechende Auszeiten durch Mutterschutz und Elternzeit. Ich dagegen habe durch gedient. Ich mache den beiden keinen Vorwurf, ganz im Gegenteil, ich gönne es ihnen, sie bekamen Möglichkeiten und haben sie genutzt. Ich frage mich, wo meine Möglichkeiten waren.
Nach den beiden Ansprachen bekommt jeder seine Urkunde und die Runde ist beendet.
Einen Tag später bin ich im Nachtdienst und es geht gleich los. Unser erster Auftrag ist schnell erledigt, falscher Alarm, alles in Ordnung. Danach werden wir gleich zu einem randalierenden Jugendlichen gerufen. Auf der Fahrt dorthin sehen wir groß und leuchtend den Vollmond über den Dächern stehen. Das verheißt nichts Gutes.
Am Einsatzort angekommen steigen meine Kollegin und ich aus. Ein Jugendlicher steht dort auf der Straße und wird von einem Mann locker festgehalten. Die Situation sieht mehr oder weniger entspannt aus. Als ich fragen möchte, was passiert ist, reißt sich der Jugendliche plötzlich los und rennt weg.
Ich laufe hinterher und bekomme das T-Shirt zu fassen. Der Jugendliche kommt ins Stocken auf seiner Flucht. Ich fasse nach und bekomme mit der linken Hand den rechen Arm zu fassen. Immer noch im Lauf erwischt mich der Jugendliche auf dem sprichwörtlichen linken Fuß. Er reißt sich los und ich habe gerade in diesem Moment keinen sicheren Stand. Ich komme ins Schlingern und falle zu Boden.
Ich stehe gleich wieder auf und orientiere mich. Die Kollegin war zwischenzeitlich erfolgreich und hatte den Jugendlichen zu Boden gebracht. Ich gehe zu ihr und wir legen die Handfessel an. Als wir ihm aufhelfen, bäumt er sich wieder auf und schreit herum. Es hilft nichts, wir müssen ihn wieder zu Boden bringen, weil er auch nach uns treten möchte. Die Kollegin ruft über Funk Verstärkung.
Als wir den jungen Mann etwas beruhigt hatten, setzen wir ihn in den Streifenwagen. Ich betrachte nun meine Wunden. Es hat mich am linken Arm und der rechten Hand erwischt. Auch das linke Hüftgelenkt schmerzt, weil ich auf die Taschenlampe, die dort am Gürtel hängt, gefallen war.
Der Jugendliche bringt sich nun im Streifenwagen sitzend in Rage. Er schlägt mit dem Kopf gegen den Vordersitz und beginnt zu hyperventilieren. Während ich vor mich hin blute, rede ich beruhigend auf ihn ein. Er beruhigt sich wieder, um sich anschließend wieder selbst aufzuregen. So geht das Spiel eine ganze Weile. Ich tippe auf Mischkonsum, das würde das Verhalten erklären.
Nach etwa 20 Minuten kommt die Verstärkung an und zu unserer Überraschung sind es nicht unsere Kollegen der Schicht, sondern ein Streifenwagen des Nachbarbezirks und zwei Hundeführer.
Nun erinnere ich mich an die Worte meines Chefs. Es ist Landeskontrolltag ‘Drogen und Alkohol’, die anderen Kollegen sollen im Rahmen des Regeldienstes für Zahlen sorgen. Ich frage mich in diesem Moment, ob Zahlen wirklich wichtiger, als die eigenen Kollegen sind…
Da der Jugendliche über Schmerzen klagt, wird ein Rettungswagen gerufen. Dieser bringt den jungen Mann ins Krankenhaus.
Ich nehme noch den Schaden auf, den der Jugendliche an einem geparkten Auto zuvor verursacht hatte und begebe mich dann selbständig ins Krankenhaus, um meine Wunden ausspülen zu lassen. Nachdem ich verarztet wurde und der Arzt mir eine Krankschreibung gegeben hat, fahre ich auf die Dienststelle.
Meinem Chef brauch ich nicht zu zeigen, was mit mir geschehen war, es ist allzu offensichtlich. Ich winke ihm mit dem gelben Schein zu und lege diesen in die Dienstpost. Dann erzähle ich ihm den Sachverhalt und beginne mich abzurüsten, um erstmals in meiner 25-jährigen Dienstzeit die Schicht vorzeitig zu beenden. Verletzt wurde ich zwar schon zahlreich, aber nie so, dass ich nicht mehr dienstfähig war.
In dieser Zeit fragt mich mein Chef kein einziges Mal, wie es mir geht. Es kommt ihm offenbar auch nicht komisch vor, dass ich abrüste. Erst, als ich mir meinen Rucksack schnappe um die Heimreise anzutreten, fragt er mich, was ich da mache. Ich sage ihm, dass ich krankgeschrieben bin und mir alles weh tut, ich so auf keinen Fall mehr einsatzfähig bin. Den Chef interessierte nun nur noch die Personalstärke, falls ich doch länger ausfallen sollte.
Während ich hinaus gehe, ruft er mir noch ‘gute Besserung’ nach. Ich bedanke mich brav, aber für mich spielt es in diesem Moment keine Rolle mehr.
Während ich mich mit meinem Auto von der Dienststelle entferne, kommen mir meine Kollegen im Streifenwagen in ruhiger Fahrt entgegen. Sie haben es offenbar nicht eilig. Und wieder kommt in mir die Frage auf, ob Zahlen wichtiger als die eigenen Kollegen sind…
Nun sitze ich hier und bin innerlich wie äußerlich zerknittert. Während ich diese Zeilen schreibe (was wegen der Schmerzen in beiden Händen mehr schlecht als recht funktioniert), fühle ich mich zurück erinnert, als sich vor einigen Jahren ein Kollege aus der damaligen Schicht erschossen hatte. Wochen später saß dann der damalige Direktionsleiter vor der Dienstgruppe und entschuldigte sich für unseren Dienststellenleiter, weil dieser nämlich genau das für die Mannschaft getan hatte: NICHTS. Ihm war es wichtiger gewesen, sich um die Witwe zu kümmern, als um die eigenen Kollegen.
Um eines klar zu machen: ich bin mit Leib und Seele Polizist. Ich habe viele Höhen und Tiefen in den vergangenen Jahren dienstlich durchlebt. Es war in der Tat nicht alles Negativ. Aber bei dem, was ich hier beschrieben habe, (ver-) zweifle ich nicht an dem Job, sondern an dem System Polizei, falschen Prioritäten und an der fehlenden Menschlichkeit.
Happy Silbernes Dienstjubiläum!”
Der Kollege ist uns persönlich bekannt, möchte jedoch anonym bleiben. Die Gedanken geben die persönliche Meinung des Autors wieder, die wir uns durch die Veröffentlichung nicht zwangsläufig zu eigen machen.
Mal ehrlich – DU könntest mir hier fast schon LEID tun – aber DU hast dir vor 25 Jahren diesen Job auch ähnlich wie ICH vor noch etwas längerer Zeit freiwillig ausgesucht…
Auch wenn ICH hier der 1. bin, der es einfach drauf hat, deinen Kommentar hier zu befürworten (technisch leider NICHT anders möglich…)muss ICH hier noch folgendes aus meinen fast 43 DJ und meiner Praxis hinzu fügen:
1. VORgesetzte/DIENSTSTELLENLEITER interessieren nur Zahlen/Statistiken, mit denen sie “nach oben hin” glänzen können, um hier Lob und Anerkennung einstecken zu können…
2. Dazu braucht es willfährige, gut dressierte Beamte, welche durch und durch ohne eigenen CHARAKTER VOLL hinter allem, was der Dienstherr anweist, stehen und dies getreu wie im BBG festgeschrieben, mit KADAVERGEHZORSAM umsetzen.
D.h. der BEAMTE und LOHNSKLAVE – unterbezahlt und wie DU in der “FRAUENQUOTE” bestens benachteiligt, macht einfach funktionierend den von ihm verlangten Job. Kommt er wie DU schon mehrfach zu Schaden, bekommst du ne Floskel mit billigen “Gute Besserung” an den Kopf… Heißt eher, “…zier dich nicht herum und komme demnächst wieder voll einsatzfähig zum Dienst, damit die Sollstärke von mir weiter gemeldet werden kann…!”
3. Jetzt frage ICH dich: WARUM bist DU nur PK im Gegensatz zu den beiden Kolleginnen?
– WAS hast DU falsch gemacht?
– Bist DU NICHT etwa einsatzfreudig und durchsetzungsstark?
– Bist DU nur das “Opfer der FRAUENQUOTEN” in der Beurteilung?
Kurz vor Beendigung meiner Karriere erhielt ich ungewollt Einblicke in die “BEURTEILUNGSQUOTEN” in einer Bundespolizei-Direktion und wie dieser “Schlüssel” begründet war.
Hier war schon VOR 2000 zu erkennen, dass FRAUEN begünstigt und bevorzugt wurden, auch wenn ihre Dienstzeiten durch eine oder mehrere Schwangerschaften und Erziehungszeiten unterbrochen waren.
So gab und gibt es “EINZELFÄLLE” wo Kolleginnen noch NICHT einmal BAL waren, aber schon als PHK’in “ausbefördert” waren.
ICH wurde naturgemäß als Mann nie schwanger, brauchte demnach vom PM zum PHM auch fast 15 DJ. Gut – weil ICH es auch oft verstand, diese “neuen Spezies” von VORgesetzten nach 1990 aus Lübeck auf die Menschheit losgelassen und als VORgesetzte uns alten Hasen vor die Nasen gesetzt zu bekommen…
FAZIT:
Heute wäre ICH sicherlich keine 4 Wochen mehr in dieser Polizei… Man würde mich eher wieder aus diesem “System der Gleichgeschalteten” entfernen, eher noch, als ein bekannter STRAFTÄTER in den ABSCHIEBEKNAST kommt und seine ABSCHIEBUNG erfährt…!
Zudem – DAS ist NICHT mehr diese Polizei, in der ICH einst treu und freiwillig diente… Es wäre auch NICHT mehr mein Berufswunsch…!
Ich möchte Sie, Herr Kommissar Winkler, auch einmal fragen, warum Sie früher Polizeibeamter geworden sind, wenn Sie im Nachhinein Ihren Beruf, den Sie ja wohl etliche Jahre mit Überzeugung ausgeübt haben, jetzt teilweise in dieser negativen Weise sehen. Für die, noch im Dienst befindlichen Kollegen wird das auch nicht motivierend sein. In letzter Zeit sind mir persönlich häufiger Kommentare aufgefallen, die entweder politischer Natur sind oder auch im Zusammenhang mit Ihrem Beruf stehen, die überwiegend negativer Art sind. Die Menschen im Polizeiberuf sind Ihre ehemaligen Kollegen, die sich für uns alle einsetzen, deren Dienst momentan schon schwer genug ist, und die dennoch überwiegend mit Herz bei der Sache sind. Jedenfalls ist dies mein persönlicher Eindruck. Daher möchte ich Sie bitten: Überdenken Sie doch bitte noch einmal Ihre Ansichten. Schließlich können auch Ihre Kollegen nichts dafür, dass die aktuelle Situation so ist wie sie ist. Ich höre auch aus Ihren Worten sehr viel Enttäuschung heraus, die wohl aus einigen Erlebnissen Ihrer früheren Dienstzeit resultieren und vielleicht auch eine Reaktion auf die aktuelle Lage im Land sind. Es bringt, glaube ich, aber auch nicht viel, Ihren Beruf jetzt in negativer Weise darzustellen. Das erschwert Ihren jetzigen Kollegen/innen die Arbeit, die sie überwiegend mit Herz und Motivation machen. Es gibt, abgesehen davon, auch sehr viele Bürger, die unsere Polizei zu schätzen wissen, junge Menschen, die diesen Beruf noch gerne ergreifen möchten. Diesen allen werden diese Kommentare nicht mehr gerecht.
Schade finde ich, dass Sie Ihren gewählten Beruf jetzt im Nachhinein so abwertend beurteilen. Damit werten Sie indirekt doch auch Ihre eigene frühere Arbeit ab, oder nicht??? Ich persönlich bin froh über jeden Menschen, der sich entschließt, diesen Beruf zu ergreifen und jeden Tag sein Bestes zu geben. Abgesehen davon achte ich auch die Leistung der Polizeibeamten, die früher unserer Gesellschaft gedient haben und sich jetzt im wohlverdienten Ruhestand befinden.
Mit freundlichen Grüßen
Leider hört man sowas in letzter Zeit öfters. Hiermit wird aber auch dem dringend benötigten Nachwuchs der Beruf “madig” gemacht. Schade, als wenn die Wechselschichten und die täglichen Herausforderungen nicht schon genug an den Kräften zehren. Leider sieht es in anderen Branchen nicht viel schöner aus. Geld und Kennzahlen scheinen die einzigen Ziele heutzutage zu sein. Eine sehr unschöne Entwicklung.