Auf Streife mit Michael Birkhan: Sarah

23. Oktober 2021 um 20:04

Auf Streife mit Michael Birkhan: SarahWir möchten ungern spoilern, müssen jedoch darauf hinweisen, dass es beim folgenden Einsatzbericht um Kindesmissbrauch und weitere Straftaten geht. Zart besaitete sollten, auch wenn keine Details genannt werden, an dieser Stelle bitte nicht weiterlesen.

 

 

Als Sarah mit ihrer Mutter die Wache betrat, blickten ihre braunen Augen schüchtern nach unten. Verlegen spielte die Kleine mit ihren blonden Locken.

Die Mutter sprach leise und mit bebender Stimme. „Ich muss etwas melden. Ich ..äh.. will eine Anzeige gegen meinen Bruder erstatten. Es geht um meine Tochter.“ Danach brach sie in Tränen aus.

Während ein Beamter die Anzeige in einem Nebenraum aufnahm, leistete uns Sarah Gesellschaft. Die pfiffige Fünfjährige setzte sich mit gesenktem Kopf auf einen Stuhl. Harti faltete aus einem Blatt Papier ein Schiffchen. Ralf bastelte ein Papierflugzeug. Kekse, Schokolade und Saft brachten ihr zartes Gesicht langsam zum Strahlen.

Die allein erziehende Mutter und ihre Tochter lebten von der Hand in den Mund. Während sie arbeiten ging, passte ihr Bruder regelmäßig auf seine Nichte auf. Ansonsten hatte die Frau niemanden an den sie sich wenden konnte.

Sarah lief inzwischen lachend mit einem Polizeiteddy im Arm um den Tisch. Ein Kollege hatte sich einen Einweghandschuh über den Kopf gezogen und folgte ihr wiehernd.

Die Mutter wurde misstrauisch weil ihre Tochter in letzter Zeit nicht mehr so gern die Zeit mit ihrem Onkel verbringen wollte. Das sonst so lebensfrohe Mädchen zog sich kontinuierlich zurück. Mütter spüren meist wenn ihre Kinder etwas bedrückt.

Sarah juchzte vor Vergnügen Es war ihr gelungen nach und nach jeden der anwesenden Polizeibeamten im Ellenbogen drücken zu schlagen. Weil das Mädchen vor einigen Tagen geistig abwesend wirkte, fuhr die Mutter mit ihr zum Arzt. Als der Frau heute das Untersuchungsergebnis eröffnet wurde, verschlug es ihr die Sprache.

Spuren von Betäubungsmitteln wurden in dem kleinen Körper ihrer Tochter nachgewiesen.

 

Der Onkel hegte zweifelsohne Gefühle für seine Nichte. Während der Betreuungszeiten sah sich der 22jährige mit dem Kind Pornofilme an. Der Onkel spielte danach regelmäßig mit seinem Schützling Szenarien aus diesen Werken nach. Da die Fünfjährige augenscheinlich keinen Gefallen an derartigen Spielchen fand, sollten die verabreichten Medikamente für eine „gelockerte Atmosphäre“ sorgen und sie gefügig machen.

Die Frau brach währen der Anzeigenaufnahme wiederholt in Tränen aus. Ihre Tochter sah diese Tränen nicht, sie tobte weiter durch den Wachraum.

Das Telefon klingelte. Ein Kollege aus dem Lagezentrum war in der Leitung. Genervt erklärte der Notrufsprecher: „Hey, die Einsätze stapeln sich. Nehmt ihr gerade eine schöpferische Pause?“

Nachdem ich meinem Gesprächspartner kurz den Hintergrund der Verzögerung geschildert hatte, verstummte dieser. Nach einer ganzen Zeit erwiderte der Kollege leise:

„Lasst Euch Zeit. Gewisse Dinge können warten…“

Nach und nach wurden immer mehr schockierende Details bekannt. Fassungslos und angewidert nahmen wir die Informationen zur Kenntnis.

Der 197cm große Andreas nahm den Fahrzeugschlüssel an sich. Sein Gesicht wirkte blass und angespannt. „Ok. Wir statten dem Herren einen Besuch ab und bringen ihn zur Wache. Wo müssen wir hin?“

Meine Antwort gefiel ihm nicht. „Der Tatort befindet sich nicht mehr auf bremischem, sondern auf niedersächsischem Gebiet. Dieser Part gebührt also den Kollegen aus OHZ. Die Jungs haben Kenntnis und scharren bereits mit den Hufen.“

 

Die Kleine taucht zwischen uns auf und zupft an unseren Händen. „Los kommt, lasst uns weiterspielen.“ Ihre unschuldigen Augen strahlten. Die Fünfjährige lehnte sich an mich. „Komm bitte. Das ist toll bei Euch.“

Die Mutter erschien mit dem berichtenden Kollegen im Wachraum. Die Anzeigenaufnahme war abgeschlossen. Die Ermittlungen / Folgemaßnahmen dauerten an. Die Mutter rief ihre Kleine zu sich: „Komm Sarah, wir müssen weiter.“

Ihre Tochter protestierte enttäuscht: „Och Mami. Die Polizisten sind so witzig. Ich will hier bleiben und weiterspielen.“ Mit traurigen Augen lächelt uns die Frau dankbar an. „Nein Mäuschen, wir müssen weiter.“

Die Telefone klingelten penetrant. Der Funk krächzte. Die Kollegen mussten diverse Einsätze wahrnehmen.

 

Im Anschluss an den Spätdienst fuhr ich nachdenklich nach Hause. Es war bereits 22.45h als ich in das Kinderzimmer meiner sechsjährigen Tochter schlich. Meine Kleine strahlte mich verschlafen an. Überrascht und begeistert rief sie: „Papa?“

Ich nahm meine Tochter in die Arme und drückte sie an mich. Meine Frau betrat den Raum.

„Michael. Die Kleine muss morgen zur Schule. Musst Du sie den jetzt unbedingt wecken?“ Leise erwidere ich:

„Ja, es muss sein!“

 

 

Dieser Einsatzbericht war zuerst bei den Polizei-Poeten erschienen.